StGB § 34
„Leitsatz:
1. Ein menschengerechtes globales Erdklima ist ein notstandsfähiges Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB.
2. Die Bestimmung des § 34 StGB setzt voraus, dass die Gefahr nicht anders abwendbar sein darf als durch die Notstandshandlung. Insoweit muss die Notstandshandlung zur Gefahrenabwehr geeignet sein und das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellen.
3. Die Rechtfertigung einer Maßnahme wegen fehlender Eignung scheidet nach allgemeiner Meinung aus, wenn sie von vornherein entweder völlig nutzlos erscheint oder nur mit einer ganz unwesentlichen Erhöhung der Rettungschancen verbunden ist. Grundsätzlich ist hier ein strenger Maßstab anzulegen, damit nicht nutzlos in fremde Rechtsgüter eingegriffen wird.
4. Die Besetzung eines einzigen Baumes, der gefällt werden soll, kann nach § 34 StGB als geeignete Maßnahme zur unmittelbaren Rettung des Weltklimas angesehen werden, weil dadurch ein Beitrag zur Verhinderung des anthropogenen Treibhauseffekts geleistet wird. Eine andere Sichtweise würde der kollektiven Dimension des Klimaschutzes nicht gerecht und würde letztlich jede Form des Klimaschutzes überflüssig machen, weil sich jede Person auf die Wirkungslosigkeit ihres Verhaltens berufen könnte.
5. Bezweckt der Täter hingegen das Rechtsgut Klima ausschließlich dadurch zu schützen, dass er durch sein Verhalten auf klimaschädliche Gefahren aufmerksam macht, um dadurch politischen Druck auszuüben, mit dem Ziel Regelungen für einen umfassenderen Klimaschutz zu erreichen, ist eine Rechtfertigung nach § 34 StGB ausgeschlossen. Im Rahmen des § 34 StGB können nur solche Notstandshandlungen berücksichtigt werden, die CO2-Emissionen in der konkreten Notstandssituation mindern, wobei es auf quantitative Erwägungen nicht ankommen kann. Keine Berücksichtigung können dagegen Handlungen finden, durch die die Minderung der CO2-Emissionen erst mittelbar durch politische Einflussnahme und gesetzliche Änderungen erreicht wird.
6. Der Notstandstäter muss von mehreren geeigneten Mitteln das mildeste zur Gefahrenabwehr auswählen, sofern dieses nicht nur unsichere Rettungschancen bieten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Gefahr insbesondere auch dann anders abwendbar ist, wenn rechtzeitige staatliche Hilfe möglich ist.
7. Eine Notstandshandlung ist im Sinne des § 34 Satz 2 StGB nicht angemessen, wenn die Rechtsordnung für die Lösung eines Interessenkonflikts abschließende Sonderregelungen, insbesondere ein geordnetes gerichtliches Verfahren, vorsieht. In diesem Fall liegt eine sogenannte Sperrwirkung rechtlich geordneter Verfahren vor. Diese Sperrwirkung greift auch dann ein, wenn das gerichtliche Verfahren im Einzelfall eine Gefahrenabwehr nicht ermöglicht, weil andernfalls die in dem rechtlichen Verfahren zum Ausdruck kommenden Wertungen unterlaufen würden.“
OLG Schleswig, Urteil vom 09.08.2023, 1 ORs 4 Ss 7/23