§ 130 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 und 5 StGB
„[Rn. 15] a) Eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 und 5 StGB in der bis zum 8. Dezember 2022 geltenden Fassung scheidet gleichwohl mangels einer dort genannten Tathandlung aus. Insbesondere ver- breitete die Angeklagte den in ihrem Schreiben enthaltenen Inhalt nicht im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Hierzu gilt:
[Rn. 16] aa) Einen Inhalt verbreitet, wer ihn in seiner Verkörperung einem größeren Personenkreis zugänglich macht, wobei dieser nach Zahl und Individualität unbestimmt oder jedenfalls so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist. Eines Verbreitungserfolgs in dem Sinne, dass ein größerer Personenkreis tatsächlich von dem Inhalt Kenntnis genommen haben muss oder diese zumindest erlangt hat, bedarf es dabei nicht (s. entsprechend BGH, Be- schluss vom 10. Januar 2017 - 3 StR 144/16, BGHR StGB § 130 Abs. 2 Verbreiten 3 Rn. 4 mwN zu § 11 Abs. 3 StGB aF). In der Fallgruppe der hier primär in Betracht kommenden sogenannten Kettenverbreitung ist das Tatbestandsmerk- mal mit der Weitergabe des Inhalts an einen einzelnen Empfänger schon dann erfüllt, wenn diese seitens des Täters mit dem Willen geschieht, dass der Empfänger den Inhalt durch verkörperte Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (s. BGH aaO; zur Kettenverbreitung auch BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 BvR 461/08, NJW 2012, 1498 Rn. 23 ff.; BT-Drucks. 12/4825 S. 6). Eine feste Grenze, ab welcher Anzahl ein Verbreiten vorliegt, lässt sich nicht bestimmen (s. bereits RG, Urteile vom 5. Oktober 1882 - Rep. C. 2/82, RGSt 7, 113, 114 vom 22. Oktober 1883 - Rep. 2137/83, RGSt 9, 292, 293 f.). Die allgemein bestehende abstrakte Gefahr der Weitergabe durch den Empfänger an weitere Personen genügt allerdings nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09, juris Rn. 27).
[Rn. 17] bb) Hieran gemessen liegt keine Verbreitung des Schriftstückes vor. Obschon bei der Übersendung eines Schreibens an eine Behörde einerseits nicht allgemein ausgeschlossen ist, dass der Absender eine breite Streuung - gegebenenfalls bloß innerhalb der Behörde - beabsichtigt und mithin ein Verbreiten gegeben sein kann, führt dies andererseits nicht dazu, den Versand an eine Behörde regelmäßig als Verbreitung zu bewerten. Entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall getroffenen Feststellungen. Danach ging die Angeklagte davon aus, das Schreiben werde möglicherweise an verschiedene mit dem Steuervorgang befasste Personen gegeben, und hielt sie eine weitergehende Prüfung durch Strafverfolgungsorgane für möglich.
[Rn. 18] Da es ihr mithin nicht auf die Weitergabe an andere Personen ankam, müsste es sich bei den von ihr für möglich gehaltenen Empfängern um eine nicht mehr zu kontrollierende Personenzahl handeln (vgl. zu diesem Merkmal LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 130 Rn. 93; Heinrich, ZJS 2016, 569, 574; Hoven/Witting, NStZ 2022, 589, 591; Schwarz/Heger, ZStW 2024, 57, 65 f.). Dies ist mit Blick auf die konkreten Umstände und das gesetzliche Regelungsgefüge nicht der Fall. Insofern ist hier von Belang, dass der Angeklagten die aus ihrer Sicht potentiell mit dem Steuerverfahren befassten Personen zwar nicht namentlich bekannt waren, es sich indes nach ihrer Erwartung um einen überschaubaren, zudem durch rechtliche Vorgaben gebundenen und so an einer willkürlichen Weitergabe gehinderten Bearbeiterkreis handelte (vgl. zum Kriterium des individuell nicht miteinander Verbundenseins BGH, Urteile vom 24. März 1999 - 3 StR 240/98, BGHR StGB § 184 Verbreiten 1; vom 30. März 1977 - 4 StR 28/77, NJW 1977, 1695). Soweit die Angeklagte nicht mehr beeinflussen konnte, wie die Empfänger tatsächlich mit dem Schreiben umgingen, ist dies bei der Herausgabe eines Schreibens an eine andere Person regelmäßig der Fall und führt für sich genommen noch nicht zu einem Verbreiten.“
BGH, Urteil vom 25.09.2025 - Az. 3 StR 32/24 - LG München II