Jugendstrafrecht
Anwendung des Jugenstrafrechts
Das Jugendstrafrecht ist im Jugendgerichtsgesetz geregelt. Es wird bei Jugendlichen, welche zur Zeit der Tat zwischen vierzehn und achtzehn Jahre alt sind, angewendet.
Außerdem kann es - unter bestimmten Voraussetzungen - auch bei Heranwachsenden, also bei Beschuldigten mit einem Alter von 18 bis 20 Jahren, angewandt werden. In solchen Fällen muss ein Heranwachsender bei der Begehung einer Tat in seiner geistigen Entwicklung einem jugendlichen gleichstehen oder die Tat eine typische Jugendverfehlung sein, was geprüft werden muss.
Kinder unter vierzehn Jahren sind nicht strafrechtlich verantwortlich.
Die Rechte der Eltern / gesetzlichen Vertreter
Bei beschuldigten Jugendlichen unter 18 Jahren müssen die Eltern oder gesetzlichen Vertreter zwingend bereits vor der ersten Vernehmung im selben Umfang informiert werden, wie der/die Beschuldigte selbst. Auch haben die Eltern ein Recht darauf, Fragen und Anträge zu stellen und (an)gehört zu werden. Solange keine wichtigen Gründe gegen eine Teilnahme sprechen, können die Eltern / gesetzlichen Vertreter auch an Vernehmungen und anderen Untersuchungshandlungen teilnehmen.
Gründe, die gegen eine Teilnahme sprechen, wären zum Beispiel, dass die betroffenen Personen vor einer Vernehmung nicht in angemessener Zeit erreicht werden können oder aber selbst im Verdacht stehen, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. In solchen Fällen muss dann eine andere, volljährige Person, welche der/die Beschuldigte sich selbst aussuchen kann, informiert werden und diese Person hat dann die gleichen Rechte, wie Eltern oder gesetzliche Vertreter.
Diebstahl, Sachbeschädigung und Erpressung - typische Straftaten
Zu den typischen Straftaten Minderjähriger zählen unter anderem Diebstahl, etwa in Form des Ladendiebstahls, Sachbeschädigung (z.B. das Besprühen von Wänden usw. mit Graffiti), Körperverletzungsdelikte und das Erschleichen von Leistungen (z.B. in der Form des Schwarzfahrens in Straßenbahn oder Zug, Raub- und Erpressungsdelikte gegenüber Mitschülern). Bei der Gruppe der Heranwachsenden treten vermehrt erwachsenentypische Delikte wie Betrug und Straßenverkehrsdelikte auf. Auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz kommen ebenfalls häufig vor.
Der Erziehungsgedanke steht im Vordergrund
Beim Jugendstrafrecht steht aber nicht die Bestrafung des Täters, sondern der Erziehungsgedanke im Vordergrund. In solchen Fällen soll dem jungen Straftäter durch ernsthafte Ermahnung oder leichte Sanktionen deutlich gemacht werden, dass die Normen der Gesellschaft auch für ihn verbindlich sind. Andererseits soll aber auch beachtet werden, dass eine übermäßige Strafe sich entwicklungsschädigend auswirken kann.
So gibt es daher im Vergleich zum allgemeinen Strafrecht schon Unterschiede im Gerichtsverfahren, z.B. die Anwesenheit der Jugendgerichtshilfe und die erweiterten Möglichkeiten zur Einstellung des Verfahrens. Dies erfordert auch andere Verteidigungsstrategien des Anwalts.
Bei den vorgesehen Strafen gibt es einen deutlich umfangreicheren Maßnahmenkatalog als im allgemeinen Strafgesetzbuch. So können beispielsweise Arbeitsauflagen, Weisungen oder Arrest verhängt werden. Das Jugendgerichtsgesetz stellt je nach den Umständen des Einzellfalls Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder die Jugendstrafe als Mittel der Sanktion für jugendliche Straftäter zur Verfügung. Der Jugendliche soll zu einer straffreien Lebensführung erzogen werden.
Recht oder Unrecht - oft fehlt Unterscheidungsfähigkeit
Eine weitere Besonderheit des Jugendstrafrechts besteht darin, dass in jedem Strafverfahren gegen einen Jugendlichen positiv festzustellen ist, ob er zum Zeitpunkt der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es jungen Straftätern noch an dem für die strafrechtliche Verantwortlichkeit erforderlichen Unterscheidungsvermögen zwischen Recht und Unrecht fehlen kann. Insofern muss der Anwalt besondere Kenntnisse im Jugendstrafrecht besitzen, um die Jugendlichen oder Heranwachsenden bestmöglich verteidigen zu können.
Auch ist es wichtig, dass der Anwalt die geltende Rechtsprechung kennt. Der BGH entschied kürzlich in seinem Urteil vom 04.06.2024 zum Aktenzeichen 5 StR 205/23 zum Beispiel Folgendes:
„Ist wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich, ist eine Jugendstrafe zu verhängen, ohne dass es darauf ankommt, obeine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.“ - BGH, Urteil vom 4. Juni 2024 – 5 StR 205/23 - LG Hamburg
Diese Entscheidung wird zukünftig beeinflussen, wie die Richter in Strafverfahren die Strafen für Jugendliche beurteilen, insbesondere in Bezug darauf, ob die Reife des Jugendlichen bei der Verurteilung noch mit gleichem Gewicht in Betracht gezogen werden muss oder die Schwere der Tat eine Verurteilung unabhängig davon, ob der Jugendliche einsichtig ist und zu besserem Verhalten erzogen werden könnte, erfolgen muss.
Schädliche Neigungen
Bei der Thematik des Jugendstrafrechtes finden sich des Öfteren Verweise auf sogenannte „schädliche Neigungen“. Eine Definition hierfür im rechtlichen Sinne liefert der BGH mit Beschluss vom 20.02.2024 zum Aktenzeichen 1 StR 30/24:
„Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, sofern erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen...“
Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe
Während eines laufenden Ermittlungsverfahrens wird die Jugendgerichtshilfe über die Vorwürfe, die gegen den Jugendlichen bestehen, informiert. Die Jugendgerichtshilfe besteht aus Sozialarbeitern, die für das Jugendamt tätig sind und bei Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens den Jugendlichen und seine Eltern kontaktieren, um ihn zu einem Gespräch einzuladen.
Dieses Gespräch dient in der Regel dazu, den Jugendlichen näher kennen zu lernen und seine Lebens- und Familienverhältnisse zu erfahren. Zu diesem Gespräch können die Eltern bzw. gesetzlichen Vertreter des Jugendlichen mit anwesend sein. Der jeweilige Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe erstellt dann über dieses Gespräch einen Bericht, welcher der Staatsanwaltschaft und nach Anklageerhebung auch dem Jugendgericht zukommt.
In diesem Jugendgerichtshilfebericht sind neben den Daten zum Lebenslauf und zu den persönlichen Entwicklungen des Jugendlichen auch dessen Aussagen / dessen Sicht auf die Tat aufgeführt. Das Dokument soll den Behörden (Gericht und Staatsanwaltschaft) helfen, eine Entscheidung im Jugendstrafverfahren zu finden.
Es geht dabei insbesondere darum, wie am besten auf die dem Jugendlichen vorgeworfene Tat reagiert werden sollte. Hierbei wird auch geprüft, ob Unterstützungsmaßnahmen der Jugendhilfe in Betracht kommen oder sonstige Maßnahmen, die vielleicht eine Anklage oder ein Urteil entbehrlich machen.
Im Übrigen ist es Aufgabe der Jugendgerichthilfe, den Jugendlichen während des gesamten Verfahrens zu betreuen, soweit die Situation und die Umstände des Falles dies erfordern.
Anklageerhebung - Was nun?
Nach Eingang der Anklage beim Jugendgericht prüft dieses zunächst aus einer unabhängigen Sicht, ob der Jugendliche nach dem bisherigen Ermittlungsstand auch zu Recht angeklagt worden ist. Das Jugendgericht wird den Jugendlichen bzw. seinen Eltern oder gesetzlichen Vertretern die Anklageschrift förmlich mit der Post in einem „gelben Brief“ mit Zustellvermerk übersenden und ihm eine Frist setzen, innerhalb welcher eine Äußerung zum Vorwurf erfolgen kann bzw. einzelne Beweiserhebungen beantragt werden können. Eine Einsicht in die Strafakte erhält der Jugendliche nicht, dies ist nur über die Beauftragung eines Rechtsanwalts als Verteidiger möglich. Insoweit ist es ratsam, eine Kanzlei zu kontaktieren, um sich umfassend beraten zu lassen. Hierfür stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Zwischen dem Zeitpunkt der Anklage und der Hauptverhandlung ist es für den Jugendlichen möglich, sich mit dem Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe in Verbindung zu setzen, um mit ihm alle weiteren Schritte zu besprechen, wie zum Beispiel die Erstellung eines Entschuldigungsschreibens, die Besprechung einer Schadenswiedergutmachung beim Geschädigten oder ein Angebot unter Vermittlung der Jugendgerichtshilfe eine Aussprache zwischen den Beteiligten zu organisieren. Es ist auch möglich, nicht genannte Zeugen jetzt zu benennen und diese Personen eventuell zur Verhandlung vorladen zu lassen.
Ein beauftragter Verteidiger oder eine Verteidigerin muss vom Jugendlichen bzw. dessen Eltern oder Erziehungsberechtigten selbst bezahlt werden. Wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Pflichtverteidigers vorliegen, dann wird ein beigeordneter Pflichtverteidiger zunächst aus der Staatskasse bezahlt. Es handelt sich hier um eine Art zinsloses Darlehen, was grundsätzlich zurückgezahlt werden muss.
Gemäß § 74 JGG kann jedoch davon abgesehen werden, dem Jugendlichen die Kosten und Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen. Davon wird von den Richtern häufig Gebrauch gemacht. Häufig ist es so, dass dem Jugendlichen die Kosten nur dann auferlegt werden, wenn er selbst in der Lage ist, diese aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Das ist dann der Fall, wenn der Jugendliche eigenes Einkommen hat.
In der Regel wird es jedoch so sein, dass die Kosten bei der Staatskasse verbleiben.
Auch im Jugendstrafrecht ist eine professionelle Verteidigung sinnvoll. Bei finanziellen Problemen ist es möglich, dass eine Pflichtverteidigerbestellung eher zu erwirken ist, als im Erwachsenenstrafrecht. Gerne übernehmen wir die Verteidigung von Jugendlichen auch als Pflichtverteidiger. Die Möglichkeit der Beiordnung als Pflichtverteidiger wird durch uns regelmäßig geprüft.
Was passiert in der Hauptverhandlung?
Sollte das Gericht eine Anklage gegen den Jugendlichen erheben, wird es zu einer Hauptverhandlung kommen, für welche in der Regel einige Wochen – jedoch spätestens eine Woche – vor der Verhandlung die entsprechenden Terminsladungen an alle Beteiligten verschickt werden.
Zum Hauptverhandlungstermin muss der Jugendliche zwingend erscheinen. Sollte es nicht möglich sein, dass der Jugendlichen teilnehmen kann, so müssen hierfür, wie auch bei Verfahren gegen Erwachsene, triftige Gründe vorliegen. Bei einer Erkrankung muss zum Beispiel der Arzt bestätigen, dass der Jugendliche nicht reisefähig und auch nicht verhandlungsfähig ist. Bei einer länger geplanten Reise müssen Buchungsbelege vorgelegt werden. Schulpflicht / eine Ausbildung geht nicht vor, so dass der Jugendliche gegebenenfalls die Ladung vorzeigen und von der Schule oder seiner Ausbildungsstelle für die Verhandlung freigestellt werden muss. Sollte der Jugendliche nicht zur Verhandlung erscheinen, so kann im Einzelfall das Gericht sogar anordnen, dass die Polizei nach ihm sucht – auch in der Schule oder der Ausbildungsstelle – und ihn zur Verhandlung vorführt.
An der Verhandlung nehmen in der Regel ein oder mehrere Richter, gegebenenfalls sogenannte Jugendschöffen, sowie ein Staatsanwalt, der Vertreter der Jugendgerichtshilfe und gegebenenfalls der vom Jugendlichen beauftragte Verteidiger teil. Jugendschöffen sind ehrenamtliche Richter, die bei Verhandlungen gegen Jugendliche und Heranwachsende mitwirken und bei der Urteilsfindung mitentscheiden.
Wenn der Jugendliche unter 18 Jahre alt ist, dann dürfen grundsätzlich die Eltern bzw. gesetzlichen Vertreter an der Verhandlung teilnehmen. Falls dies ausnahmsweise ausgeschlossen wird oder die Eltern vorübergehend nicht erreicht werden können, wird das Gericht gegebenenfalls eine andere geeignete Vertrauensperson im Alter von mindestens 18 Jahren hinzuziehen, wie Geschwister oder weiter entfernte Verwandte.
Die Gerichtsverhandlung findet in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, d.h. ohne Zuschauer und ohne Presse. Ist der Jugendliche oder eine weitere mitangeklagte Person jedoch älter als 18 Jahre, findet die Hauptverhandlung grundsätzlich öffentlich statt, so dass Zuschauer und Presse der Hauptverhandlung beiwohnen dürfen. In solchen Fällen kann das Gericht die Öffentlichkeit im Interesse des Jugendlichen ausschließen, wenn dies beantragt und entsprechend begründet wird.
Eine Verhandlung beginnt in der Regel mit einer Begrüßung der Beteiligten durch das Gericht. Die im Gerichtssaal befindlichen Zeugen werden über ihre Pflichten belehrt und dann aus dem Saal verwiesen, um zuwarten, bis sie aufgerufen werden. Hiernach werden die Personalien des Jugendlichen erfragt und abgeglichen. Es folgt die Verlesung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft.
Der Richter klärt anschließend den Jugendlichen darüber auf, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern, d.h., dass ein Recht besteht, Auszusagen oder die Aussage zu verweigern. Wenn der Jugendliche sich bereiterklärt, auszusagen, ist es üblich, dass eine Befragung durch das Gericht, die Staatsanwaltschaft und den Verteidiger stattfindet.
In der darauffolgenden Beweisaufnahme wird das Gericht gegebenenfalls Zeugen vernehmen, Sachverständige anhören, Urkunden verlesen oder Beweismittel in Augenschein nehmen. Auch der Jugendliche darf den Zeugen und Sachverständigen Fragen stellen, was meist über seinen Verteidiger geschieht.
Danach wird das Jugendgericht den Vertreter der Jugendgerichtshilfe anhören. Dieser berichtet über die bisherige Entwicklung des Jugendlichen und über die gegenwärtige persönliche Situation. Außerdem nimmt er dazu Stellung, ob der Jugendliche für die ihm vorgeworfene Tat in Verantwortung genommen werden kann. Wenn der Jugendliche zur Tatbegehung bereits über 18 Jahre alt war, muss geprüft werden, ob das Jugendstrafrecht aufgrund des Entwicklungszustandes des Jugendlichen noch gilt oder ob das Strafrecht für Erwachsene im vorliegenden Fall herangezogen werden muss. Außerdem äußert sich der Jugendgerichtshelfer dahingehend, welche Maßnehmen für den Jugendlichen – sollte er schuldig gesprochen werden – zu empfehlen sind.
Am Ende der Beweismaßnahme verliest der Richter in der Regel noch einen Auszug aus dem Erziehungsregister, um festzustellen, ob es im Vorfeld bereits Verfahren und Verurteilungen gegen den Jugendlichen gegeben hat. Das Jugendgericht kann das Verfahren auch jetzt noch einstellen, was bedeuten würde, dass es kein Urteil gibt, sondern einen vorläufigen Einstellungsbeschluss mit Auflagen, die dem Jugendlichen erteilt werden und innerhalb einer gesetzten Frist zu erfüllen sind, um das Verfahren endgültig einstellen zu lassen.
Sollte eine Einstellung nicht in Betracht kommen, stellen Staatsanwaltschaft und der Verteidiger des Jugendlichen, sofern vorhanden, jeweils einen Antrag, wie das Jugendgericht im Urteil entscheiden sollte. Sodann haben der Jugendliche sowie seine Eltern bzw. die gesetzlichen Vertreter die Gelegenheit, sich zu äußern und weitere Anträge zu stellen – der Angeklagte wird also „das letzte Wort haben“.
Am Ende der Hauptverhandlung, manchmal auch nach einer Pause mit Überlegungszeit für den Richter, wird dann das Urteil verkündet und begründet. Es kann dann noch vor Ort gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel eingelegt werden, um dieses vor einem höheren Gericht überprüfen zu lassen.
Entscheidungen des Gerichts
Das Jugendgericht kann zum einen den Jugendlichen von dem Vorwurf aus der Anklageschrift freisprechen, wenn es nicht überzeugt ist, dass die dem Jugendlichen vorgeworfene Tat tatsächlich auch durch diesen begangen wurde oder ein Nachweis der Tat aufgrund der Beweislage schlichtweg nicht möglich ist („im Zweifel für den Angeklagten“).
Weiterhin kann das Jugendgericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung das Verfahren gegen Erteilung von Auflagen einstellen. Insoweit wird dann das Strafverfahren ohne weitere Strafverfolgung oder Urteil abgeschlossen.
Kommt es zu einer Verurteilung, so hat das Jugendgericht verschiedene Möglichkeiten, auf den Jugendlichen einzuwirken. Das Gericht kann unter anderem einen oder mehrere Punkte der nachfolgenden Punkte in ein Urteil aufnehmen:
- eine Verwarnung gegenüber dem Jugendlichen
- eine Weisung zum Leisten von Arbeitsstunden
- die Verpflichtung, einen Geldbetrag an einen Verein oder eine geschädigte Person zu zahlen
- die Veranlassung, dass eine Unterstützung des Jugendlichen durch einen Betreuer erfolgt oder andere Beratungs- oder Unterstützungsangebote in Anspruch genommen werden müssen
- eine Anordnung zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs
- eine Anordnung eines Ausgleichsverfahrens mit dem Geschädigten (sogenannter Täter-Opfer-Ausgleich)
- die Anordnung eines Jugendarrests von bis zu 4 Wochen
- eine Jugendstrafe, sprich Freiheitsentzug, gegebenenfalls zur Bewährung bei einer Dauer von weniger als 2 Jahren Freiheitsentzug
Darüber hinaus kann das Gericht neben diesen Maßnahmen im Urteil auch sogenannte Nebenfolgen aussprechen. Bei Verstößen im Verkehrsstrafrecht wäre zum Beispiel eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis möglich oder bei Diebstahlshandlungen könnte eine Anordnung erfolgen, dass das aus der Tat erlangte Diebesgut einzuziehen ist, sofern dies noch nicht erfolgt ist.
Höhe der Jugendstrafe
Bei der Beurteilung der Höhe der Strafe, welche einem Jugendlichen auferlegt wird, spielen eine Vielzahl von Umständen eine Rolle. Der Bundesgerichtshof äußert sich zu diesem Thema in seinem Beschluss vom 06.06.2023 zum Aktenzeichen 2 StR 78/23 wie folgt:
„[Rn. 4] Nach dieser Vorschrift [§ 18 Abs. 2 JGG] ist auch dann, wenn eine Jugendstrafe ausschließlich wegen Schwere der Schuld verhängt wird, bei der Bemessung der Strafhöhe der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1, § 18 Abs. 2 JGG) vorrangig zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu beachten. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe unter erzieherischen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt insoweit nicht [...].
Zwar verliert der Erziehungsgedanke mit fortschreitendem Alter des Täters an Bedeutung, wohingegen – insbesondere bei besonders gravierenden Straftaten – das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs immer mehr in den Vordergrund tritt. Gleichwohl müssen grundsätzlich auch dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Verhängung der Jugendstrafe bereits das 21. Lebensjahr vollendet hat, die erzieherischen Auswirkungen der Strafe beachtet und abgewogen werden [...].“
Bildung einer Einheitsjugendstrafe
Bei jugendlichen, die mehrere Straftaten begangen haben, werden oftmals mehrere Straftaten in ein Verfahren zusammengefasst und ein Gesamturteil gefällt. Der BGH hat in seinem Urteil vom 22.02.24 zum Aktenzeichen 3 StR 385/23 die Thematik näher erläutert:
„§ 31 Abs. 2 Satz 1 JGG sieht - unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge einzelner Straftaten - grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Dabei sind auch solche Entscheidungen ausdrücklich - unter Aufnahme in den Tenor - einzubeziehen, die ihrerseits bereits in ein weiteres einbeziehungsfähiges Urteil einbezogen wurden...
[...]
Bei der Bildung einer Einheitsjugendstrafe nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG sind die zuvor begangenen Straftaten im Rahmen einer Gesamtwürdigung neu zu bewerten und zusammen mit der neuen Straftat zur Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen [...]. Denn nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG wird nicht lediglich die Strafe aus dem früheren noch nicht erledigten Urteil, sondern dieses als solches in die Bildung der Einheitsjugendstrafe übernommen. Dabei hat das Tatgericht eine neue, selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige einheitliche und am Erziehungsgedanken orientierte Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten vorzunehmen. Ist in einer einzubeziehenden Entscheidung - wie hier - bereits eine frühere Entscheidung einbezogen worden, sind sämtliche Entscheidungen in den Blick zu nehmen...“
Hier kann es auch dazu kommen, dass der betroffene Jugendliche die betreffenden Straftaten zu verschiedenen Zeiten begangen hat, wobei das Alter zum Zeitpunkt der Tatbegehung darüber entscheidet, ob tatsächlich die Straftaten noch nach dem Jugendstrafrecht zu beurteilen sind. Hier gibt es in der Rechtsprechung ausweislich des BGH, Beschluss vom 16.05.2024 zum Aktenzeichen 3 StR 379/23 folgende Vorgaben, wie ein Richter die Straftaten zu bewerten hat:
„...bei der sich über mehrere Altersstufen erstreckenden natürlichen Handlungseinheit [hätte das beurteilende Gericht] die Frage in den Blick nehmen müssen, ob auf diese Tat gemäß §§ 32, 105 Abs. 1 JGG das Jugendstrafrecht oder das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist. § 32 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG ist auch (analog) anwendbar, wenn sich mehrere strafrechtlich bedeutsame Vorgänge, die ... im Rechtssinne als eine Tat zu werten sind, über mehrere Altersstufen hinziehen. ...
Gemäß § 32 JGG kommt es daher maßgeblich darauf an, ob das Schwergewicht bei Tatteilen liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. ... Diese Beurteilung ist im Wesentlichen Tatfrage, die das Tatgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat und daher der Nachprüfung durch das Revisionsgericht grundsätzlich entzogen ist. ... Lässt sich nicht eindeutig erkennen, ob das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsender begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden...“
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